Wenn man auf einer Höhe von 1450 Metern lebt, sollte man eigentlich auf gelegentliche Wintereinbrüche immer gefasst sein. Aber das ich Mitte Oktober einmal mein Auto freischaufeln müsste und mit Handschuhen, Wintermütze und Schal durch die Gegend laufen würde, hätte ich auch nicht gedacht.

Vorgestern morgen zeigte mir das Thermometer -9 Grad an, eine Temperatur, mit der ich normalerweise nur im Dezember oder Januar leben muss. Die elektrischen Fenster meines Autos waren nicht mehr zu bewegen, die Windschutzscheibe mit einer dicken Eisschicht bedeckt.

Dabei fing die letzte Woche eigentlich so gut an. Am Sonntag, dem 21. Oktober, machten wir unsere Hotels zu und ich flog schon morgens nach Budapest. Agneska holte mich am Flughafen ab und sorgte gleich für die erste Überraschung. Einige Tage vor meiner Ankunft hatte ich noch am Telefon gefrotzelt, dass es schön wäre, wenn sie mich mal im Rock und mit Stöckelschuhen abholen würde. Für einige Frauen sicherlich nichts Ungewöhnliches, aber ich habe sie noch nie in einem Rock gesehen. Sie trägt entweder Jeans oder Stoffhosen und von Schuhen mit Absätzen hält sie auch nicht viel.

So machte ich schon große Augen, als ich durch die Tür kam und Agneska so „fraulich“ vor mir stand. Aber ich muss zugeben, dass mir der Anblick sehr gefallen hat. Nachdem wir nachmittags bei ihr zu Hause abgehangen hatten, machten wir uns am Abend auf, um in einem kleinen Pizzarestaurant zu essen. Einen Cocktail und Palinka später kam sie dann auf die Idee, hoch zur Citadelle zu laufen, so dass wir von dort aus den Panoramablick über die Donau hinweg auf das Parlament und andere Sehenswürdigkeiten geniessen zu könnnen.

Agneska war noch immer in Rock und Stöckelschuhen unterwegs, so dass ihre Füße dem steilen Anstieg Tribut zollten. Vor allem auf dem Rückweg mussten wir öfter mal unterbrechen, damit sie dem Schmerz Zeit geben konnte, nachzulassen. Die Aussicht allerdings war phantastisch. Nur der von großen Bäumen gesäumte Wanderweg hinauf zur Citadelle war nur recht bescheiden beleuchtet, so dass wir uns einige Male erschreckten, wenn irgendwelche Leute auf einmal aus heiterem Himmel vor uns standen.

Der Montag begann dann mit einem Schock für mich. Philippe rief mich an und teilte mir mit, dass Toni, mein bester Freund im Hotel und Küchenchef, gekündigt hatte. Ich war völlig fassungslos und war für den Rest des Tages eigentlich nicht mehr zu gebrauchen. Agneska führte mich zum wunderschönen und sehr beeindruckenden Herosquare, und wir verbrachten ein paar Stunden in einem öffentlichen Spa, der stark an die alte Römerzeit erinnerte.

Doch irgendwie hatte ich immer Toni im Kopf. Dabei vermischten sich meine persönliche Trauer, einen guten Freund vor Ort verloren zu haben, mit den Gedanken daran, wie es im Hotel weitergehen soll. So war es ganz gut, dass ich am selben Abend noch einmal völlig abgelenkt wurde. Agneska stellte mich ihren Freunden Edit, Anna, Francesco und Cathy vor. Wir trafen uns erst in Edit und Francesco’s neuer Wohnung, ehe wir dann in der Stadt einen Happen aßen. Danach verabschiedeten sich Cathy und ihr Freund, dessen Name ich leider vergessen habe. Mit Edit und Francesco gingen wir dann noch in eine Kneipe, und es wurde noch sehr lustig. Irgendwann machten sich dann die beiden auch auf den Heimweg, während wir noch in einer anderen Bar Halt machten. Gegen ein oder zwei Uhr schnappten wir uns dann aber auch ein Taxi nach Hause.

Am Dienstag herrschte dann in Budapest und ganz Ungarn der „Ausnahmezustand“. Denn am 23. Oktober erinnern die Magyaren an die Revolution von 1956, als sie auf die Straße gingen und gegen das russische Regime protestierten und für kurze Zeit ihre Eigenständigkeit zurück gewannen. Doch der Kremlin schickte seine Truppen und zerschlug den Aufstand.

Auf jeden Fall war auf den Straßen Budapests sehr viel los. Hier und da standen ein paar Bühnen, von denen laute Livemusik auf uns herabschallte. Gleichzeitig nutzten einige politische Parteien den Nationalfeiertag für Kundgebungen, um Werbung in eigener Sache zu machen.

Wir schlenderten durch die Menschenmengen, schauten uns den St. Stefansdom und das Parlament an und landeten am Ende im Dschungelrestaurant. Dieses Restaurant war voll mit Terrarien, Palmen und anderen tropischen Accessoires. Aber auch das Essen war einfach köstlich. Ich glaube, ich könnte noch wochenlang jeden Tag dort Essen gehen und immer wieder was Neues ausprobieren.

Der mit Sicherheit lustigste Tag war der Mittwoch. Ich hatte im Vorfeld einen Nachmittagstermin mit einem Reiseveranstalter in Fehervar ausgemacht. Fehervar ist Agneska’s Heimatstadt, wo auch noch ihre Eltern leben. Der Plan war, bei ihren Eltern zum Mittagessen aufzuschlagen, und danach dann ins Büro des Reiserveranstalters zu fahren. Agneska fragte mich schon vorher immer, ob ich denn nervös sei, ihre Eltern kennen zu lernen. Ich verneinte, zumal ich nicht das erste Mal in meinem Leben vor dieser Situation stand. Andererseits würde bei den offensichtlichen Verständigungsproblemem eh kein echtes Gespräch aufkommen. Ich nahm mir also vor, alles zu essen und zu trinken, was mir angeboten wurde und immer schön zu lächeln.

Jedoch kam alles ein bisschen anders als gedacht. Vor allem Agneska’s Mutter war sehr aufgeregt und sorgte dafür, dass ich immer was zu Essen hatte und mein Weinglas immer voll war. Hinzu kam noch, dass ich zum Aperitif auch noch zwei Palinka hinunterschluckte. So war ich gegen 13h30 ziemlich angeheitert. Agneska fuhr mich zum Büro, und ich wanderte es erst einmal auf und ab, rauchte eine Zigarette und steckte mir dann ein Kaugummi in den Mund, bevor ich dann wieder halbwegs gerade ausschauen konnte und mich dort vorstellte.

Das Gespräch verlief sehr positiv und nach einer knappen Stunde kam ich wieder völlig nüchtern heraus. Wir fuhren zurück zu Agenska’s Eltern, wo dann noch einmal eine kalte Platte aufgetischt wurde, wobei ich nochmal richtig zulangen musste und ich nach drei weiteren Glas Wein und Palinke wieder angeheitert war. Aber ich muss zugeben, dass ich von der Herzlichkeit ihrer Eltern sehr beeindruckt gewesen bin, auch wenn es mit der Verständigung nicht immer so einfach war. Aber Agneska tat ihr Bestes, soviel wie möglich zu übersetzen.

Nachdem ich am Donnerstagabend wieder in Les Mosses angekommen war, ging ich direkt zu Nathalie und Philippe, wo wir dann beim gemeinsamen Abendessen über die neue Situation im Hotel sprachen. Tags darauf machte sich dann Philippe im Internet auf die Suche nach passendem Ersatz für Toni als Küchenchef. Und er wurde tatsächlich fündig. Schon am nächsten Tag stellte sich Pietro, ein Schweiz-Italiener, bei uns vor. Nach einem mehr als zweistündigen Vorstellungsgespräch mit Philippe und mir verständigten wir uns darauf, diesen Winter zusammen zu arbeiten. Er machte wirklich einen guten Eindruck, und ich hoffe nur, dass sich dieser im Verlaufe der Saison bestätigen wird.

Natürlich habe ich auch mit Toni telefoniert, und er erklärte mir, dass er einfach ausgebrannt sei und einen Tapetenwechsel brauche. Diesen Winter will er aber völlig ausspannen, ehe er sich dann in ein neues Abentuer stürzen wird. Ich werde ihn auf jeden Fall sehr vermissen.

Diese Woche verbringe ich also noch in Les Mosses, um vor allem etliche admininstrative Dinge zu erledigen. Am Samstag komme ich dann nach Iserlohn, ehe ich dann die Woche darauf mit Toni nach Fuerteventura in den Urlaub fahren werde. Ein bisschen mentale Entspannung kann ich jetzt auch gut gebrauchen.